Um 2:55 Uhr stolpere ich mehr schlafend als wach durch die Nacht, auf dem Weg zu meiner Verabredung mit Marcel vom Winterdienst. Während mein Kopf sich sehnsüchtig an den Gedanken ans warme Bett klammert, begegnen mir die letzten Heimkehrer vom Maturaball. "Feiert nochmal richtig", denke ich mir beim Anblick der Nachtschwärmer, "bevor euch irgendwann das Berufsleben auch mal um 2:30 weckt."
Pünktlich um 3 Uhr, ich bin gerade erst am Treffpunkt angekommen, biegt Marcels kleiner Geländewagen um die Ecke. Die Arbeitsscheinwerfer tauchen die Straße in helles Licht, und hinter dem Steuer sitzt ein breit grinsender Marcel. Seine gute Laune ist ansteckend - vielleicht liegt es daran, dass heute nur Streuen ansteht und kein Räumen. Oder er ist einfach immer gut drauf. Mit routinierten Handgriffen lädt er das Streusalz auf und checkt sein Fahrzeug. Schon nach wenigen Minuten wird mir klar: Hier ist jemand mit echter Freude bei der Arbeit.
"Die Atmosphäre macht's aus", sagt ein fast unheimlich gut gelaunter Marcel, während wir durch das nächtliche Dornbirn fahren. Abseits von Kulturhaus und Marktplatz ist die Stadt wie ausgestorben. "Hier hat man auch einfach mal seine Ruhe", erklärt Marcel weiter. Und das könnte nicht wahrer sein. Denn auch wenn manche Teams zu zweit unterwegs sind, der Rest der Welt schläft gerade. Oder feiert im Kulturhaus.
Die Route ist zu Beginn der Winterdienstsaison ausgeklügelt worden. Kein Weg wird zweimal gefahren - hier steht Effizienz im Vordergrund. Und die braucht es, wenn es wie in der Nacht zuvor ununterbrochen schneit. Dann wird der Winterdienst schnell zu einem Wettlauf gegen die Zeit. "In der ersten Runde erledigen wir die wichtigen Punkte, Tiefgarageneinfahrten, Hauseingänge etc. In der zweiten Runde wird's dann perfekt."
Doch auch ohne Neuschnee hat Marcel heute gut zu tun. Wo gestern noch Autos standen, muss heute geräumt werden. Wo gestern Platz für Schnee war, stehen heute Autos. Hin und wieder muss Schnee umgeschichtet werden. Und natürlich ein ständiges Ein- und Aussteigen, um die Bereiche zu salzen, die mit dem Auto nicht erreicht werden können. Winterdienst ist ein Job mit vollem Körpereinsatz.
Auf unserer Fahrt zum nächsten Objekt erzählt mir Marcel einige Anekdoten aus seinen Nachtschichten. Von leicht angeheiterten Feiernden, die ihm spontan beim Schneeschaufeln unterstützten. Oder wie ein größeres Räumfahrzeug sein kleineres fast komplett "verschüttete". Marcel lacht und meint, das gehöre eben dazu. Schlimmeres ist ihm noch nie passiert, obwohl der Job nicht ganz ohne Tücken ist.
Nach etwa eineinhalb Stunden treffen wir auf das zweite Team. Gemeinsam fahren wir zur Tankstelle - Zeit für einen Kaffee zum Abschluss der Schicht. Es ist 4:30 Uhr, Samstagmorgen. Die ersten Frühaufsteher kommen gerade an die Tankstelle, während für Marcel und seine Kollegen der Arbeitstag endet. Sie haben wieder einmal dafür gesorgt, dass die Stadt sicher in den Wintermorgen starten kann - auch wenn die meisten Bürger von ihrer nächtlichen Arbeit nichts mitbekommen haben.
Müde verabschiede ich mich von Marcel und seinen Kollegen mit einem "schönen Feierabend". Erst als ich daheim angekommen bin und mich noch einmal ins Bett begebe, wird mir klar, wie absurd das Wort Feierabend für mich um 4:30 Uhr klingt. Und wie normal für Marcel und seine Kollegen.